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Dr. Alexander Herbert, Tulpenhofstr. 1, 63067 Offenbach

Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Wohnungseigentumsgesetz

Ende der "Pseudovereinbarung"

Überarbeitetes Manuskript eines Referates vom 1.2.2001 vor Verwaltungsbeiräten der Verwaltungsgesellschaft Harbach und Meinhardt mbH, Offenbach.

I. Gesetzeswortlaut des Wohnungseigentumsgesetzes (kurz: WEG)

Entscheidungen kann eine Wohnungseigentümergemeinschaft (kurz: WE) durch Beschluß oder Vereinbarung treffen.

1. Dabei bedeutet Vereinbarung eine allstimmige Entscheidung, die also die Zustimmung aller Eigentümer einer WE gefunden hat; es langt nicht die Zustimmung der anwesenden Eigentümer einer Versammlung o.ä.; Stimmenthaltung, Nichtteilnahme nur eines einzigen Eigentümers bringt alles zum Fall. Wichtigster Fall: Teilungserklärung, Gemeinschaftsordnung.

Dieser allstimmige Beschluß muß im Grundbuch eingetragen werden, damit er zum Inhalt des Sondereigentums wird.

Verstößt eine Vereinbarung gegen das WEG, ist sie nichtig, was auch noch nach Jahren geltend gemacht werden kann. Sie ist dann ohne Rechtswirkung und muß grundsätzlich rückabgewickelt werden.

2. Demgegenüber wird ein Beschluß auf einer Eigentümerversammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen oder im Wege des Umlaufbeschlusses durch schriftliche Zustimmung aller Eigentümer getroffen.

Will ein Eigentümer geltend machen, dass ein Beschluß rechtswidrig sei, muß er ihn nach § 23 IV WEG binnen Monatsfrist vor dem Amtsgericht anfechten; nach Fristablauf erwächst der Beschluß in Bestandskraft. Er kann dann nur noch durch eine erneute Beschlußfassung der WE abgeändert oder aufgehoben werden.

3. Nach § 10 I 2 WEG können von Vorschriften des Gesetzes abweichende Vereinbarungen getroffen werden, d.h. eine Abweichung vom Gesetz bedarf der Vereinbarung.

§ 23 I 1 WEG bestimmt: "Angelegenheiten, über die nach diesem Gesetz oder nach einer Vereinbarung ... die Wohnungseigentümer durch Beschluß entscheiden können, werden durch Beschlußfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet."

Hieraus ergibt sich: nur dort, wo ausdrücklich vom Beschluß die Rede ist - im WEG oder in einer Vereinbarung, evtl. in der Teilungserklärung oder Gemeinschaftsordnung - darf durch Beschluß entschieden werden. Ansonsten ist eine Vereinbarung erforderlich.

II. Langjährige gerichtliche Übung

1. Der Bundesgerichtshof (kurz: BGH) und andere Obergerichte haben Beschlüsse auch dann in Bestandskraft erwachsen lassen, wenn eigentlich zur Regelung des Gegenstands eine Vereinbarung erforderlich gewesen wäre (sog. Pseudovereinbarung oder vereinbarungsersetzender Mehrheitsbeschluß). Wurde ein solcher Beschluß binnen Monatsfrist gerichtlich angegriffen, so war er aufzuheben. Denn die WE hätte nicht durch Beschluß, sondern nur durch Vereinbarung entscheiden dürfen. Nach Ablauf der Frist war er hingegen unanfechtbar bestandskräftig; er konnte nur durch erneuten Mehrheitsbeschluß (oder Vereinbarung) wieder geändert werden.

2. Ausnahmsweise war ein Beschluß nichtig, also ohne Rechtswirkung, was ein Gericht noch Jahre nach der Beschlußfassung mit Rückwirkung feststellen konnte, wenn er in den (dinglichen) Kernbereich des WEG eingriff. Dies wurde nur sehr zurückhaltend angenommen; praktisch waren die allermeisten Mehrheitsbeschlüsse nach Ablauf der Anfechtungsfrist gültig und bindend.

III. Neue BGH-Rechtsprechung

Der BGH hat am 20.9.2000 (Az.: V ZB 58/99, abgedruckt u.a. in NJW 2000, 3500), vorbereitet vom vorsitzenden Richter Wenzel, die unter oben II. dargestellte Rechtsprechung um 180° gedreht. Nunmehr gilt:

1. In der Regel kann dann, wenn eine Vereinbarung erforderlich ist, diese nicht mehr durch einen Mehrheitsbeschluß ersetzt werden, es ist Allstimmigkeit erforderlich, es sei denn, eine Vereinbarung ließe die Abweisung von Gesetz oder Vereinbarung durch einen Beschluß zu (sog. Änderungsklausel oder Öffnungsklausel). Die Beschlußkompetenz muß sich also aus dem Gesetz oder einer Vereinbarung ergeben, andernfalls fehle der Mehrheit jede Beschlußkompetenz. Die Konsequenzen im Detail sind gegenwärtig noch nicht vollständig absehbar: was werden die Instanzgerichte aus den Vorgaben des BGH machen? Daher ist gegenwärtig nur eine vorsichtige Abschätzung der Konsequenzen mit Vorbehalt möglich. Die nachfolgend dargestellte Auslegung orientiert sich an der Entscheidung und Veröffentlichungen von Richter Wenzel.

2. Wenzel hat eine Dreiteilung der Beschlüsse, die an Stelle einer Vereinbarung getroffen worden sind (NZM 2000, 257 = ZWE 2000,2), angenommen. Die rechtliche Beurteilung der Wirksamkeit des Beschlusses hängt von seiner Einordnung in eine dieser drei Kategorien ab.

a) vereinbarungs/gesetzesersetzende Beschlüsse. Eine Gebrauchsregelung ist durch Vereinbarung oder Beschluß möglich. Ein Beschluß ist zulässig, wenn sich die Maßnahme im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung hält. Es handelt sich um folgende Vorschriften:

§ 15 II WEG Gebrauch von Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum

§ 21 III WEG ordnungsgemäße Verwaltung des Gemeinschaftseigentums

§ 22 I WEG ordnungsgemäße Instandhaltung/Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums

Ein Streit um die Ordnungsmäßigkeit der Gebrauchsregelung, der Verwaltung oder der Instandhaltung betrifft nur das rechtliche "Dürfen", nicht das rechtliche "Können", und kann durch Mehrheitsbeschluß entschieden werden (NJW 2000, 3503). Die Ordnungsmäßigkeit der Maßnahme soll aus Gründen der Rechtssicherheit nicht kompetenzbegründend sein. Derartige Beschlüsse müssen innerhalb der Monatsfrist angefochten werden; ohne Anfechtung erwachsen sie - wie bisher - in Bestandskraft.

Zulässig sind daher Beschlüsse über:

- ein Verbot der Hundehaltung,

- die Musikausübung (Wenzel WE 2000, 260),

- den Einbau von Verbrauchserfassern.

Nichtig bleiben Beschlüsse, die den dinglichen Kernbereich des WE verletzen - wie bisher, etwa: Aufhebung/Änderung des Miteigentumsanteils oder des Sondereigentums, Umwandlung von Gemeinschaftseigentum in Sondereigentum, Einzelfall strittig.

b) vereinbarungs/gesetzesändernde Beschlüsse. Dies sind immer nichtig. Denn nach Auffassung des BGH sei hier nicht die "Substituierung, sondern die Änderung des Gesetzes/der Vereinbarung auf Dauer" angestrebt. Etwa:

alle derartigen Beschlüsse sind nichtig.

c) vereinbarungs/gesetzeswidrige Beschlüsse. Verletzung des Gesetzes/einer Vereinbarung im Einzelfall

Eine falsche Auslegung des Gesetzes oder einer Vereinbarung ist durch Beschluß zulässig. Wird der Beschluß innerhalb der Monatsfrist angefochten, ist er vom Gericht aufzuheben. Ohne rechtzeitige Anfechtung erwächst er in Bestandskraft.

d) Korrektur über Vertrauensgrundsatz

Die Nichtigkeit eines Beschlusses kann noch Jahre nach Beschlußfassung durch ein Gericht festgestellt werden. Dann ist der entsprechend geregelte Sachverhalt rückabzuwickeln. Ausnahme: der Beschluß wurde rechtzeitig angefochten, vom Gericht aber bestätigt: diese gerichtliche Entscheidung ist in Rechtskraft erwachsen, der zugrundeliegende Beschluß ist gültig.

Der BGH führt hierzu aus (Zitat):

"Ist der durch Beschluß geregelte Sachverhalt noch nicht abgeschlossen, wird es jeweils darauf ankommen, ob und inwieweit im Vertrauen auf die (... alte Rechtsprechung des BGH ...) rechtlich schützenswerte Positionen entstanden sind, deren Beseitigung zu unzumutbaren Härten führen würde, so dass die Folgen der Entscheidung im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ausnahmsweise nur für die Zukunft gelten können", BGH NJW 2000, 3503.

Aus dieser sehr verklausulierten, mit vielen unbestimmten Rechtsbegriffen durchsetzten Formel läßt sich nur eins mit Sicherheit ableiten: ob und wann ein Gericht die Rechtsfolge der Nichtigkeit über den Grundsatz des Vertrauensschutzes korrigieren wird, läßt sich nicht mit Verläßlichkeit prognostizieren.

IV. Ergebnis

Viele in der Vergangenheit zur Korrektur einer schlechten oder veralteten Teilungserklärung getroffenen Beschlüsse sind, obwohl viele Jahre alt, nichtig und rückabzuwickeln. Die in der Praxis damit verknüpften Probleme können nur ausnahmsweise zu einer Korrektur der Nichtigkeitsfolge für die Vergangenheit über den Vertrauensgrundsatz führen.

V. Rettungsversuche

1. Zunächst sind die alten Protokolle der Eigentümerversammlungen möglichst lückenlos darauf hin durchzusehen, ob die getroffenen Beschlüsse nach den o.a. Grundsätzen nichtig wären. Finden sich derartige Beschlüsse, ist die Teilungserklärung daraufhin durchzusehen, ob sie eine Änderungsklausel enthält. Wenn ja, ist zu prüfen, welche besonderen Voraussetzungen diese Klausel für die Beschlußfassung aufstellt (Beschränkung auf bestimmte Inhalte, Quorum o.ä.). Alle Beschlüsse, welche diese Voraussetzungen erfüllen, bleiben gültig. Alle anderen sind nichtig.

2. Eine WE sollte versuchen, eine Vereinbarung zu treffen, welche die Änderungen von Vorgaben des Gesetzes oder der Teilungserklärung durch Beschluß erlaubt. Sobald diese ins Grundbuch eingetragen ist, können Beschlüsse gefaßt werden, welche die Teilungserklärung oder das Gesetz dauerhaft abändern. Inwieweit dies auch mit Rückwirkung möglich ist, ist mit einem Notar zu klären.

3. Beschlüsse zu Nutzungsänderungen am Sondernutzungsrecht bzw. Nutzung von Gemeinschaftseigentum (durch einzelne Eigentümer?) sind nichtig, stattdessen könnten Mietverträge abgeschlossen werden, was durch Beschluß möglich ist (BGH, Entscheidung vom 29.6.2000).

4. Jedes Jahr Beschlüsse über das Vorgehen des nächsten Jahres unter ausdrücklicher Jahresangabe fassen, also etwa auf der Versammlung in 2001 einen Beschluß zu den Abrechnungsmodalitäten für 2002. Es ist aber noch nicht gesichert, ob ein derartiges Vorgehen vor Gericht Bestand haben wird. Es könnte sein, dass die Gerichte die Nichtigkeitsfolge wegen unzulässiger Umgehung der o.a. Rechtsprechung auch auf derartige Beschlüsse ausdehnen.